Ausgangslage

In den 1920er Jahren begann im Agfa Camerawerk München an der Tegernseer Landstraße die Produktion von Fotokameras. Agfa stieg schnell zu einem der größten Hersteller von Fotokameras und Fototechnik in Europa auf. Während des Zweiten Weltkrieges produzierte Agfa im Münchner Camerawerk für die Kriegswirtschaft, u.a. für die Luftwaffe. Es wurden ca. 500 Zwangsarbeiterinnen beschäftigt. Das Camerawerk wurde im Krieg beschädigt und mit Mitteln des Marshall-Plans wieder aufgebaut. In den 1950ern wurde Agfa westdeutscher Marktführer mit großem Exportanteil in Europa. Mit der Fertigstellung des markanten Agfa-Hochhauses am Mittleren Ring 1959 war das Firmengelände fertiggestellt.

Zur Hochzeit arbeiteten ca. 5.000 Personen am Agfa-Standort an der Tegernseer Landstraße, der somit prägender und größter Arbeitgeber Obergiesings war. Auf dem 11 Hektar großen Firmengelände befanden sich Sportflächen - Turnhalle, Tennis- und Fußballplatz - die von Mitgliedern des Agfa-Sportvereins, der auch Externen offen stand und bis zu 1000 Mitglieder hatte, genutzt werden konnten. Das Firmenareal war nicht öffentlich betret- und passierbar und somit eine Barriere im Stadtteil Obergiesing.

Agfa produzierte am Münchner Standort bis 1982 Fotokameras. Danach verblieben Fotoservice, Verwaltung, Umkehranstalt sowie Teile der Forschung auf dem Gelände. Die Firma schrumpfte jedoch weiter und meldete am 27. Mai 2005 schließlich Insolvenz an. Das Firmengelände war ab den 1980er Jahren nur noch zu Teilen von Agfa genutzt. Die Werkswohnungen an der Untersbergstraße wurden in den 1990ern durch die Regierung von Oberbayern als Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende genutzt. In den 2000ern war dort dann ein Berherbungsbetrieb.

Das in Teilen brachliegende Grundstück wurde 2004 an die Büschl Unternehmensgruppe verkauft. Am 17. Februar 2008 wurde schließlich das 13-geschossige Agfa-Hochaus gesprengt.

(Die historischen Fotos stammen aus einer Baudokumentation des Agfa-Kamera-Club)

Ziele

Die Ziele leiten sich aus den Sanierungszielen und den sozialräumlichen Bedarfen ab:

  • Schaffung von Wohnraum (frei finanziert und gefördert, für unterschiedliche Lebenssituationen)
  • Schaffung von Gewerbeflächen
  • Verbesserung der Grün- und Freiflächenversorgung
  • Schaffung von Gemeinbedarfseinrichtungen (Sozialbürgerhaus, Kinderkrippe, -garten und -hort)
  • Anbindung an den Grün- und Freiflächenverbund
  • Verbesserung der Wegeverbindungen

Umsetzung

In 2006 wurde gemeinsam vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung und dem Eigentümer, der Büschl Unternehmensgruppe ein durch Städtebauförderungsmittel finanzierter städtebaulicher und landschaftsplanerischer Ideenwettbewerb durchgeführt. Der 1. Preis ging an Hierl Architekten mit Lex-Kerfers Landschaftsachitekten, der 2. Preis an Alpert Speer & Partner mit Werkgemeinschaft Freiraum/WGF Objekt und der 3. Preis an Rohnke Architekten mit ver.de Landschaftsarchitektur.

Auf Grundlage des 1. Platzes des Wettbewerbs wurde die Bauleitplanung erarbeitet. Im März 2011 war das Bebauungsplanverfahren für den Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 1979 (Textfassung, Planfassung) abgeschlossen. Alle Details der Bebauung sowie die Verteilung der Planungskosten sind in einem städtebaulichen Vertrag zwischen dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung und der Büschl Unternehmensgruppe geregelt.

Die Abrissarbeiten wurden zwischen 2008 und 2011 durchgeführt. Die Schadstoffbelastung des Bodens, u.a. durch die Giesinger Kiesgrube, erforderte eine umfassende Bodensanierung.

Auf dem ca. 11 Hektar großen Areal sind ca. 950 Wohnungen für ungefähr 2.000 Personen entstanden. Drei neue Kindertageseinrichtungen sowie der Umzug des Sozialbürgerhaus und Jobcenter Giesing-Harlaching an die Werner-Schlierf-Straße schaffen wichtige gesellschaftliche Infrastruktur. Die öffentliche Grünfläche "Agfa Park" mit vielen Spielgelegenheiten und einer großen Wiese umfasst insgesamt ca. 3,5 Hektar. Der Agfa-Park verbindet das Areal mit dem neugestalteten Weißenseepark. Der sogenannte Gewerberiegel schafft Arbeitsplätze für ca. 1.200 Menschen und sorgt für den notwendigen Lärmschutz des Wohngebiets zum Mittleren Ring. Gewerbeflächen für Einzelhandel und Büros sind rund um den Ella-Lingens-Platz gelegen.

Filmdokumentation "Zeitenwende in Giesing (2007-2017)"

Der Dokumentarfilm „Zeitenwende in Giesing (2007-2017)“ dokumentiert den Wandel des ehemaligen Agfa-Geländes. Der Film vereint in gut 50 Minuten die Geschichte vom Industriegelände zum Wohn- und Gewerbequartier in der Gegenwart: vom Abriss und Neubau, über den Bezug des Gewerberiegels am Mittleren Ring in 2011 bis hin zur Entwicklung neuen Quartierslebens.

Stimmen von (ehemaligen) Agfa-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, von Baubeteiligten, der Stadt München sowie Giesingerinnen und Giesingern zeigen das Leben um den städtebaulichen Wandel. Archivmaterial zur Firma Agfa, dem Standort Obergiesing und der Stadt München aus den 1920er bis 1990er Jahren ermöglicht einen Blick weiter zurück.

Die Filmdokumentation ist zwischen 2007 und 2017 im Rahmen der Sozialen Stadt Giesing entstanden. Sie wurde finanziert aus dem Verfügungsfonds der Sozialen Stadt Giesing, dem ESF-Förderprogramm „LOS – Lokales Kapital für soziale Zwecke“ sowie durch die Büschl Unternehmensgruppe, den Projektentwickler des Areals. Außerdem unterstützten das Filmprojekt der Verein Freunde Giesings e.V., das Kulturreferat sowie das Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München durch ihr Know-how.

Regie: Morgane Remter
Produktion: Maximilian Plettau, Nominal Film
München 2017, 52 Minuten

Den Film können Sie hier ansehen.

Werner-Schlierf-Straße

Durch das Agfa-Areal verläuft eine Straße. Sie wurde 2011 als Werner-Schlierf-Straße gewidmet, mit der Begründung:

"Werner Schlierf, geb. am 17.05.1936 und gest. am 01.03.2007 in München, Schriftsteller. Verfasser zahlreicher Romane, Bühnenstücke und Hörspiele, in denen sich meistens alles um „sein“ Giesing dreht. Sein Werk wurde mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht."

Feierlich wurde die Werner-Schlierf-Straße nach Fertigstellung des Agfa-Areals und im Rahmen des durch den Verfügungsfonds geförderten Giesinger Werner Schlierf Jahres anlässlich des 80. Geburtstags des "Vorstadtpoeten" in 2011 gewidmet.

Ella-Lingens-Platz

Die Freifläche an der Werner-Schlierf-Straße wurde 2016 auf Initiative des Bezirksausschusses 17 Obergiesing-Fansangarten zu "Ella-Lingens-Platz" benannt.

"Ella Lingens (geb. Reiner), geb. am 18. November 1908 und gest. am 30. Dezember 2002 in Wien, Juristin, Ärztin; Studium in München, Marburg und Wien; Gegnerin des Nationalsozia­lismus; während und nach den Novemberpogromen 1938 unterstützte sie jüdische Mitbürger und verhalf ihnen zur Emigration; 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet und 1943 nach Auschwitz, 1944 nach Dachau deportiert, danach Überführung nach München, wo sie im Frauenaußenlager „Agfa Kamerawerke“ als Ärztin Zwangsarbeit leisten musste. In dieser Funktion versuchte Ella Lingens die Situation der Frauen u.a. durch Krankschreibungen zu verbessern. Nach dem Krieg war sie an Schulen und Lehrerseminaren als Zeitzeugin aktiv. 1980 wurde Ella Lingens von Yad Vashem in Jerusalem mit der Ehrenmedaille „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet."

Nach 1933 wurde Agfa schrittweise zum Rüstungsbetrieb umgebaut und produzierte u.a. Zünder. Es wurden Zwangsarbeiter angefordert und in der Weißenseestraße 7-15 das Außenlager "Agfa Kamerawerke" des KZ Dachau eingerichtet. Infomationen hierzu finden Sie u.a. im Kulturgeschichtspfad Obergiesing (Seiten 57-61). In 2017 hat der Künstler Alexander Steig mit dem "Kamera-Projekt" an Ort und Stelle darauf hingewiesen und Informationen zusammengetragen.

Der Bezirksausschuss 17 Obergiesing-Fasangarten hat in 2016 den Ella-Lingens-Platz feierlich eingeweiht.

Weitere Informationen

Stadtratsbeschlüsse:

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